Licht von Oben - Buchdeckel

Schlusswort

Es ist wieder Advent. Ein ganzes Jahr habe ich an meinen Lebenserinnerungen geschrieben. Heute will ich mit diesen schließen; aber ich kann es nicht, ohne noch einmal einen Blick auf mein ganzes Leben zu werfen und die Summe desselben zu ziehen.

Mein Leben ist ein untergeordnetes, ein unscheinbares gewesen, wie es viele hunderttausend andere auch sind. Nur wenige Menschen haben Notiz von demselben genommen, denn es war nicht mehr als ein Tropfen im großen Meer der Alltäglichkeit. Mein Wirkungskreis war, wenn auch öfter wechselnd, doch stets ein eng begrenzter, es war das Haus, die Familie, in der ich lebte und eine dienende Stellung einnahm. Mein Leben war, äußerlich gesehen, ohne alle Gestalt und Schöne. Und doch, wie reich ist es gewesen, wie warm durchstrahlt von der Güte und Freundlichkeit meines Gottes! Meine Kindheit und erste Jugend war reich an Entbehrungen und Mühseligkeiten aller Art. Aber was Schaden schien, ist mir Gewinn geworden. Das Wort des Propheten Jeremias: „Es ist ein köstlich Ding einem Manne, daß er das Joch in seiner Jugend trage,“1 darf ich auch auf mich anwenden. Ich habe in den Entbehrungen und Mühseligkeiten meiner Jugend viel gelernt, und mit dem Erlernten durfte ich später anderen dienen. Es ist mir kein eigener Herd beschert gewesen, obgleich ich mich manchmal nach einem solchen gesehnt. Es hat auch Keiner mir seine Hand geboten und gesprochen: „Komm, laß unser beider Leben fortan ein Leben sein!“ obgleich in einzelnen Stunden ich mir auch dieses gewünscht.

War daher mein Leben einerseits ein einsames, armes, so ist es doch auf der anderen Seite reich gewesen an innigen Freundschaftsbeziehungen verschiedener Art, und meine Cornelia ist mir noch jetzt wie eine liebe Tochter. Ohne eigentliche Heimat bin ich durch die Welt gegangen; aber jedes Haus, in welchem ich meinen Wirkungskreis gefunden, ist mir wie eine Heimat gewesen.

Soll ich nun die Summe meiner Lebenserfahrungen ziehen, so ist es diese: Es kommt viel weniger auf die äußere Gestaltung unseres Lebens, als auf seinen inneren Gehalt an. Manche Menschen leben äußerlich ein reiches, angesehenes, glückliches Leben; aber dasselbe ist wie eine hohle Nuss ohne inneren Gehalt, ohne bleibenden Gewinn für sie selbst und Andere. Das Urteil der Welt geht im Allgemeinen dahin, daß das Leben eines Mädchens nur in der Verheiratung seine Bestimmung erreiche. In mancher Beziehung ist das Leben der verheirateten Frau angenehmer und bequemer, als der unverheirateten, wie es sich ja überhaupt besser selbander, als allein geht. Der Mann ist der natürliche Schutz und die Stütze der Frau; er ist der Schirm, hinter den sie sich flüchtet, der Stab, auf welchen sie sich lehnt. Muß auch die Unverheiratete dieses und noch manches andere entbehren, so soll doch ihr Leben nach Gottes Willen kein armes, freudenleeres sein. Es kann reich, ja, vielleicht noch reicher in Gott sein, als das der verheirateten Frau. Und auf dieses Reichsein in Gott kommt es doch schließlich allein an.

Die Welt sieht auf den dienenden Stand herab; im Lichte des Wortes Gottes, im Lichte von Oben betrachtet, erscheint derselbe mit nichten ein geringer. Unser Herr Jesus hat diesem Stande angehört, wie er es selbst bezeugt, indem Er spricht: „Des Menschen Sohn ist nicht gekommen, daß er sich dienen lasse, sonder daß er diene,“2 und wie er es tatsächlich beweist in der Fußwaschung3 seiner Jünger. Wie hoch unser Herr Jesus den dienenden Stand gehalten wissen will, sehen wir aus Seinen Worten in Matthäus 20, 26 und 27: „So jemand will unter euch gewaltig sein, der sei euer Knecht.“

Wie dieses vom Herrn so hoch gehaltene, verheißungsvolle Dienen beschaffen sein soll, beschreibt uns der Apostel Paulus in seinem Briefe an die Epheser im 6. Kapitel: „Lasset euch dünken, daß ihr dem Herrn dienet und nicht den Menschen.“

Die Welt kennt nur Menschendienst, der Christ aber verwandelt den Menschen geleisteten Dienst in einen Gottesdienst. Menschendienst erniedrigt, Gottesdienst aber erhöht. Menschendienst empfängt nur Menschenlohn, Gottesdienst empfängt Gotteslohn. Die Sage vom Christophorus, der nur dem Größten dienen wollte, hat mir bei meinem Dienen stets vorgeschwebt. Auch ich habe meinen Stolz darein gesetzt, nicht Menschen, sondern Gott, dem Höchsten, zu dienen, und daher hat mein Stand in meinen Augen auch stets etwas Ehrendes gehabt.

Standesdünkel ist gewiß unter allen Umständen verwerflich; durch Hochhalten seines Standes aber ehrt man die Standesgenossen, und das ist´s, was ich möchte.

Sehr viele meines Geschlechts gehen in einer dienenden Stellung einsam durchs Leben. Diesen insbesondere möchte ich mit einem herzlichen Gruß die vorstehenden Blätter gewidmet haben.


1)  Klagelieder 3,27

2)  Matthäus 20,28

3)  Johannes 13,1-20


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